Kennste mich noch?

Wer kennt sie nicht, diese herrlich unangenehmen Momente im Leben, bei denen man nichts ahnend durch die Straßen schlendert, das Herz erfüllt von Sonnenschein auf dem Weg in das Schuhgeschäft Nummer Eins am Platz, um sich die lange ersehnten und ersparten superschicken Pumps zu kaufen – Zack da geschieht es.

Schon auf fünfzig Metern Entfernung sieht man ein Gesicht, dass man irgendwoher kennt und man weiß genau „dieser Mensch hatte schon immer eine beschissene Aura und es gibt einen Grund warum ich mich nicht mehr erinnere, an welcher Stelle dieser Mensch in mein Leben getreten ist“.

Dann folgt eine kurze Verzweiflungshandlung „O.K. ich biege einfach links ab – aber nein, hier gibt es ja gar kein links, es geht nur gerade aus“ – Das Gegenüber hat sich mittlerweile auf eine Entfernung von 25 Metern genähert. O.K. – Plan B: „Ich schau einfach auf die Seite – nein besser ich suche einfach ganz vertieft in meiner Tasche nach – einem – ja, nach einem Zettel…“ Man versucht in der Tasche kramend, auf keinen Fall nach vorne blickend, irgendwie die Straßenseite zu wechseln, ohne dem Gegenüber, das einen natürlich schon längst gesehen hat, das Gefühl zu vermitteln, man könnte wegen ihm die Straße wechseln – Zu spät. Schon von weitem winkt es und es lächelt das Gesicht und es geht einfach nicht mehr die Person zu ignorieren. Schnellen Schrittes nähert sich das Gegenüber und dann kommt der Spruch den die Hohlroller der Nation für sich gepachtet haben: „HEY ALTES HAUS, wie geht’s dir denn, wir haben uns ja schon ewig nimmer gesehen! Kennste mich noch?“ – Grübel, Verzweiflung, Hitzewallung: „Klar kenne ich dich“ lautet natürlich die Antwort, wie aus der Pistole geschossen „Wie könnte ich dich nur vergessen?“ Beide Partner lachen. Dann kommt wieder von Gegenüber ein dermaßen sinnvoller Kommentar „und – wie läuft’s so?“ „Gut, wie immer – und bei dir?“ „Ja auch alles gut“ – gefolgt von Hohlrollerspruch Nummer Zwei: „Schlechten Menschen geht’s doch immer gut, oder?“ „Hahaha, da hast du Recht!“ Schweigen. Peinlicher Moment, von einem Bein auf das andere Bein, auf die Uhr blicken und dann „ja ich muss dann auch mal weiter – war schön dich wieder gesehen zu haben!“ „Hat mich auch gefreut – vielleicht sieht man sich ja bald mal wieder.“ „Ja, vielleicht – bis dann, mach’s gut!“ „du auch, Tschüss“. Man winkt sich noch kurz zu, vielleicht noch ein Lächeln und man läuft geradewegs weiter.

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Dann kommt die Frage, die kommen musste in Form eines inneren Monologes „Kenne ich dich, wer war das eben überhaupt und was war das für ein dummer Spruch?“ Man fühlt sich fürchterlich beobachtet, weil man denkt, dass gerade jeder einzelne Mensch, der an einem vorbei gelaufen ist, diese seltendämliche Konversation mitbekommen hat.

Ich empfinde es immer wieder als furchtbar unangenehm, einem Menschen zu begegnen, von dem man weiß, dass er in irgendeiner Weise irgendwann einmal in meinem Leben eine Rolle gespielt habe, meistens dann noch, wenn die Rolle absolut daneben war. Und man sich einfach nicht erinnern kann oder will, woher man das Gesicht kennt. Ich weiß mir nie zu helfen und stelle mich jedes Mal genauso dämlich an. Warum verhält man sich in solchen Situationen immer so furchtbar blöd und wenig selbstbewusst? Man könnte auf die Frage „Kennste mich noch?“ doch einfach auch mal antworten „Nö!“


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